Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel! Wieder einmal steht der endgültige Zusammenbruch unseres alleinigen, besten und geliebten Kapitalismus unmittelbar bevor. Die Gerüchte schwirren und mutieren wie schmutzige Viren. Waldbrände, Wirbelstürme, Klimawandel, Pandemien, Trollfabriken, Konsumverzicht, Gemeinwohl, Umverteilung, Prekariat, Sklaverei, Depression, Plagiate, etcetera, etcetera. Alles doch nur Gedanken kranker Gehirne, denn tatsächlich werden wir immer leistungsfähiger, glücklicher und reicher! Glaubt an die selbstreinigende Kraft der reflektierenden, automatisierten Finanzmärkte! Auf den nächsten Crash folgt immer die nächste Rally! Die Renditen werden in den Himmel wachsen. Versprochen. Und wenn die Sonne immer heißer auf unsere Golfplätze brennt und das Wasser für die Pools immer knapper wird, werden wir eben den Himmel privatisieren! Und in diesem, unserem Mega-Himmelreich werden wir endlose Feste feiern. Die Hofschranzen, Follower und Gaukler werden dienen bis in alle Ewigkeit.
Der Durst nach Kohärenz
“Wenn man die Menschen glauben macht, zu den bestehenden sozio-ökonomischen Verhältnissen und Klassenungleichheiten gebe es keine glaubwürdige Alternative, dann ist es kein Wunder, dass alle Hoffnung auf Veränderung sich auf die Feier der Grenze und der Identität verlagert.”
Thomas Piketty, Kapital und Ideologie
Träume und Räusche sind faszinierende Episoden in unserer Alltagswahrnehmung. Die Schranken, die unser Bewusstsein dem Denken auferlegt, fallen. Ideen, Bilder und Klänge fließen ohne zwingenden Zusammenhalt ineinander, erzeugen Verbindungen und Sinnzusammenhänge, die es so eigentlich nicht geben dürfte und schaffen eine Logik, die nur gespürt werden kann: der roten Faden ist spürbar, ohne ihn konkret erklären zu können. In der Tradition der griechischen, dionysischen Satyrspiele, wollen Fuckhead mit ihrer Performance diesen ekstatischen Zustand von Traum und Rausch und Ausgelassenheit erzeugen, für einen flüchtigen Augenblick der kurzfristigen verwirrten Erleuchtung, der aber doch einen Funken Freude, Inspiration und mentaler Energie hinterlässt.
Es ist eine dicke Suppe, die hier für EAT THE RICH angerührt wird. Das gesamte Rezept wird, wie es sich gehört, nicht verraten, aber hier ein Blick über die wesentlichen Zutaten.
Eat the rich – The Ingredients:
KYKLOPS / Der Zyklop – ist das einzige vollständig erhaltene griechische Satyrspiel. Euripides dramatisiert das Aufeinandertreffen des menschenfressenden Zyklopen Polyphem mit dem Trickster Odysseus. Dieser Polyphem offenbart sich als Proto-Kapitalist und Materialist, dem nichts und niemand heilig ist außer seinem Magen, der keine Regeln befolgt, außer die Natur zu seinen Gunsten auszubeuten. Die Satyrn sind feige Denunzianten, Mitläufer, Wendehälse, immer auf ihren eigenen kurzsichtigen Vorteil bedacht und dabei jeder nächstbesten Lichtfigur folgend. Und über Odysseus reden wir lieber erst gar nicht.
“Le Maitre Fous” ist eine 1955 gedrehter Ethno-Fiction von Jean Rouch. In der Dokumentation behandelt Rouch ein Ritual des Hauka Kultes in Ghana. Die am Ritual Teilnehmenden lassen Dämonen von sich Besitz ergreifen (ein Adorzismus im Unterschied zum Exorzismus). Diese Dämonen personifizieren übernatürliche Entitäten der englischen Kolonialmacht: die Lokomotive, der General, der Lastwagenfahrer, die Prostituierte…Die Dämonen übernehmen die Kontrolle über den Besessenen wie ein Reiter die Kontrolle über ein Pferd übernimmt. Die Besessenen erlangen dadurch eine gewisse Macht: sie werden unempfindlich gegen Schmerzen und Feuer, sie können Tabus brechen, ohne dafür die Konsequenzen zu tragen.
In EAT THE RICH laden Fuckhead die Dämonen des Kapitalismus in ihre Körper ein: sie zu besitzen, zu reiten und irgendwann wieder zu verlassen.
R > G
Der “Return on Investment” ist im Kapitalismus immer grösser als das Wachstum der Einkommen (Economic Growth), also eine stetige Verlagerung hin zur Seite der Investoren. Laut Thomas Piketty ist das eine dem Kapitalismus inhärente Gesetzmäßigkeit( die sich aus den erhobenen Daten – vor allem Steuererklärungen – ableitet). Demnach sind wir auf der Skala der Ungleichheit wieder fast an demselben Punkt wie 1910 – bevor sich durch Wirtschaftskrise und Weltkriege das Kapital selbst ausgelöscht hatte. Die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders war eine historisch einzigartige Phase der Einkommensgleichheit, in der eine progressive Besteuerung von bis zu 90% der Einkommen für Umverteilung sorgte.
In “Kapital und Ideologie” schlägt Piketty unter anderem vor, individuelle Erbschaften abzuschaffen, und dafür eine “Erbschaft für alle” in Form einer Kapitalausstattung für Menschen mit 25 Jahren in Höhe von 120.000 Euro einzuführen:
“Die Idee, es gebe strikt privates Eigentum und weiterhin Formen eines naturwüchsigen und unverbrüchlichen Anrechts bestimmter Personen auf bestimmte Güter, hält keiner Analyse stand. Akkumulation von Gütern ist stets Frucht eines sozialen Prozesses. Sie zehrt insbesondere von öffentlichen Infrastrukturen (vor allem dem Rechts-, Steuer- und Bildungssystem), von sozialer Arbeitsteilung und von Erkenntnissen, die von der Menschheit in Jahrhunderten gesammelt wurden. Unter diesen Bedingungen ist es nur folgerichtig, wenn Personen, die große Vermögen akkumuliert haben, einen Teil derselben jährlich der Gemeinschaft zurückgeben und Eigentum derart zu einem nicht mehr dauerhaften, sondern temporären Eigentum wird. Das einzige Argument, das sich wirklich gegen diese Logik ins Feld führen lässt, ist im Grunde das der Büchse der Pandora. Private Eigentumsrechte infrage zu stellen, so lautet das Argument, führe unweigerlich ins allgemeine Chaos, und daher tue man gut daran, diese Büchse niemals zu öffnen.“
Thomas Piketty, Kapital und Ideologie
Eat the Rich
Diese Slogan und Kampfruf gegen soziale Ungerechtigkeit wird Jean-Jacques Rousseau zugeschrieben. “Wenn die Leute nichts mehr zu essen haben, werden sie die Reichen essen.” Allerdings hat ihn Rousseau nie schriftlich geäußert. Vielmehr werden ihm diese Worte vom französischen Politiker und Historiker Adolphe Thiers in den Mund gelegt. Irgendwie tauchte der Satz dann in der Punk- und Gegenkultur der 1970 Jahre wieder auf. Es gab Kochbücher und “Eat the Rich” T-shirts. (auf einem Foto trägt Patti Smith ein solches beim signieren von Platten). 1987 floppte der Film “Eat the Rich” trotz der eingängigen Hookline des gleichnamigen Motörhead Songs:
Come on baby, and eat the rich
Come on baby, and eat the rich
Come on honey, here’s your supper
Come on baby, bite that sucker
Die Donut Ökonomie – In ihrem Bestseller geht Kate Raworth davon aus, dass die Wirtschaft sich in den Grenzen bewegen muss, die einen größtmöglichen Wohlstand bei geringst möglichem Resourcenverbrauch ermöglichen. Das Bild des Donuts soll ein Kompass sein der uns bei der Orientierung hilft, wie wir unser ökonomisches Handeln, innerhalb der planetaren und sozialen Begrenzungen gestalten. Demnach führt ein Überschreiten der Grenzen des Torus nach außen hin zu einer Zerstörung des Planeten als Lebensraum. Ein Unterschreiten der Grenzen nach innen führt zu einem Verlust der Grundlagen für ein würdiges Leben.
“Wenn alle Perspektiven und Möglichkeiten des Handelns (ja manchmal schon der Debatte) dadurch verbaut werden, dass man zum Beispiel erklärt, die Gesetzmäßigkeiten der Globalisierung und der Wirtschaft würden jede wirkliche Umverteilung für alle Zukunft ausschließen, dann ist es fast unvermeidlich, dass die politische Auseinandersetzung sich auf den letzten Handlungsspielraum konzentriert, den man dem Staat noch lässt, nämlich die Sicherung seiner Außengrenzen–und mitunter auch die Erfindung innerer Grenzen. Es darf, anders gesagt, nicht so getan werden, als seien die wachsenden identitären Spaltungen eine gewiss bedauerliche, aber letztlich unvermeidliche Konsequenz des Eintritts in eine postkoloniale Welt. Mir scheint, dass diese Entwicklung sich auch und vor allem als Konsequenz des Zusammenbruchs des Kommunismus und des Verlusts jeder Hoffnung auf eine grundlegende sozio-ökonomische Veränderung begreifen lässt. Nur wenn die Debatte über Gerechtigkeit und das richtige Wirtschaftsmodell wieder eröffnet wird, besteht Aussicht darauf, dass die Frage des Eigentums und der Ungleichheit wieder die Oberhand über die Frage der Grenze und der Identität gewinnt. Wir kommen darauf zurück.”
Thomas Piketty, Kapital und Ideologie